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Verlagsgeschichte

 


© Foto: Günter Malchow

Nachruf auf Detlef W. Stein
(7.06.1961 – 5.11.2020)

Im Jahr des Mauerbaus geboren, war der Anthea-Verleger Detlef W. Stein in der politischen Opposition der DDR aktiv, organisierte Veranstaltungen zum Thema Osteuropa und hat ab 1986 in der größten illegalen politischen Zeitschrift „Umweltblätter“ geschrieben. Sein Anliegen war es, die Politik von Gorbatschow in der DDR bekannter zu machen und mit Leben zu füllen. Während der Friedlichen Revolution war er Mitgründer der Bürgerrechtsbewegung „Neues Forum“ und Sprecher des NF am Runden Tisch sowie einer der Auflöser der Stasi. Nach dem Ende der DDR galt es, seine und die Erfahrungen anderer für die Nachwelt festzuhalten wie zu erforschen. Daraus ist sein „Osteuropa Zentrum Berlin“ (OEZ Berlin) im heutigen Stasimuseum sowie seine Anthea Verlagsgruppe entstanden. Der Anthea-Programmleiter Dr. Martin A. Völker blickt anlässlich der Beerdigung auf den Menschen Detlef W. Stein zurück.

 

Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die man nicht weiß, die niemand wissen kann und die einfach zu glauben sind, an denen unser Glaube wächst. Dann gibt es noch solche Dinge, die man weiß, die unverrückbar sind, die aber unglaublich bleiben und die unseren Glauben nachhaltig erschüttern. Der Tod von Detlef W. Stein ist ein solches Ereignis. Die Tatsache seiner unheilbaren, lebensverkürzenden Krankheit stand unverrückbar im Raum. Dennoch stand er selbst derart unverrückbar und lebensfroh im Raum unseres Lebens, dass er ihn einfach nicht verlassen konnte. Doch das Erwartbare kommt am Ende unerwartet.

Obwohl der nahe wie der ferne Tod ein Leben beendet, kann er Kräfte in uns wachrufen, die wir dachten, nicht zu haben. Jedes Buch, dass Detlef aus dem Reich der Ideen ins Leben gebracht hat, zeugt von dieser Kraft. Nein, es ist noch nicht zu Ende, es wird noch ein Stück weit gehen, und am Ende des Weges überlegen wir neu, was zu tun sein wird: So war Detlef. Entsprechend ging unsere Buchplanung bis weit über das Jahr 2021 hinaus. Neue Bücher, neue Buchreihen, neue Verlage, Lesungen und Buchmessen. Bücher waren für ihn nicht nur Papierstapel mit zwei Pappdeckeln, sondern jedes Buch war ein Leben für sich, an dem er Anteil nahm, das er als ein stimmiges und zu erzählendes Leben gelten ließ. Jedes Buch war eine Blüte, hervorgebracht von der blütenreichen Anthea. Eine Blüte am Baum des Lebens.

Wie er oft zu sagen pflegte: „Jeder hat so seine Art.“ Das klingt nach dem Preußenkönig Friedrich II., der meinte, jeder solle nach seiner Faҫon selig werden. Es gibt nur wenige Menschen, die sich darauf einlassen können, dass jeder so seine Art hat. Detlef konnte das, und er konnte es als Verleger fruchtbar machen.

Detlef wusste, dass er sterben wird, aber er wusste auch, dass es immer eine kleine List gibt, immer eine Wendung eintreten kann, die das Schlimmste nicht allzu schlimm werden lässt, die das Schlimme vielleicht sogar abwehrt. Diese Hoffnung der List, diesen Mut zur List konnte ihm jeder ansehen, an seinem Gesicht ablesen: das schalkhafte Blitzen seiner Augen.

Einer seiner Sätze war auch: „Ich kann schon hier und jetzt sagen, dass wir das machen. Ich weiß noch nicht wie, aber wir machen das!“ Wo andere bereits im Vorfeld abwinken, sofort mögliche Fehler oder Fallstricke sehen, wo verhindert wird, anstatt zu ermöglichen, da trat Detlef mit Zuversicht und gutem Willen auf. Ja, mit Naivität! Diese kindliche Naivität ist eine Gabe, vermutlich die beste, die einer haben kann. Weil die Naivität uns handeln lässt, obwohl wir ahnen, was dabei alles schiefgehen kann. Naivität ist der immer frische Mut zum Aufbruch, obwohl die widrigen Umstände überlebensgroß und die gegnerischen Mächte übermenschlich stark erscheinen. Diese Naivität ist ein Geschenk, zu der die Erfahrung hinzukommen muss, dass sie berechtigt ist und tatsächlich etwas bewirken kann. Die Erstürmung und Besetzung der Stasizentrale am 15. Januar 1990 war jenes Ereignis, von dem Detlef oft erzählt hat. Mögen die Nachwendejahre manchmal schwer gewesen sein, diese Erfahrung war unaustilgbar. Das Unveränderliche kann sich verändern, wenn man den Mut zur Veränderung aufbringt. Und wenn sich Naivität und Mut zusammenschließen, dann steht einem die Welt offen.

Die offene Welt ging für Detlef über alles. Die geschlossene Welt kannte er. Die wollte er nicht zurück. Von seiner Weltoffenheit zeugte seine Arbeit als Verleger: drei Verlage und Ideen für mindestens drei weitere. Mit einer Vielzahl von Autor*innen und Themen. Jedes Buch ein Leben und ein Stück Welt, das sich mit anderen Welten zu einem bunten Universum aufspannt. Weil jeder so seine Art hat.

Hinter seiner Arbeit mit Büchern stand ebenso der Gedanke, dass die „Altvorderen“, wie er gern sagte, nicht nur für sich allein, sondern für ihre Nachwelt gearbeitet und geschrieben haben: Goethe, Lessing, Kant, Heine, Fontane oder Raabe. Kaum auszudenken, wenn wir dieses Erbe nicht annehmen, pflegen und weitertragen würden, weil nämlich auch wir die Altvorderen sind, die kulturelle Verantwortung für die Nachwelt tragen. Nehmen wir diese Verantwortung nicht auf uns, dann reißt das Band zwischen dem Gestern, dem Heute und dem Morgen, dann wird unsere Welt ganz klein, zerfällt in Mikrowelten, die sich gegenseitig befeinden. Dagegen, dass die offene Welt sich wieder schließt und einspinnt, dass man Gemeinsamkeit wieder mit Eigeninteresse vertauscht, dagegen muss man angehen. Mit Büchern. In ihnen steht ja schon alles, was war, was ist und sein wird, wie schwer oder wie leicht die Dinge sein können, was wir zu glauben haben, was wir wissen können und erwarten dürfen. Man muss nur lesen, nachlesen und zuhören.

Bücher waren für Detlef keine Dinge, die ins stille Kämmerlein gehören, sondern die man auf die Bühne bringen muss. Bücher sind Erlebnisse, sollen und wollen gemeinsam empfunden und diskutiert werden. Das führte dazu, dass das Lessinghaus im Nikolaiviertel ein wichtiger Bezugspunkt in seinem Leben wurde. Hier war Berlin die Keimzelle, aus der die Stadt entstand und herauswuchs, hier liegt das kulturelle Erbe Lessings, Mendelssohns, Friedrich Nicolais und Heinrich Zilles auf der Straße. Aber: Einer muss es aufheben, abklopfen und für neue Kunden ins Regal stellen.

Detlef lebte voll in der Gegenwart und stand dennoch mit einem Bein längst in der Zukunft: Was erst möglich sein wird, wenn das Stadtschloss endlich seine Pforten öffnet, wenn der Campus für Demokratie in der Stasi-Zentrale seine Arbeit aufnimmt? Das fragten und diskutierten wir oft. Zum Mut gehört der Glaube daran, dass es immer weitergeht, dass der Mensch für den Stillstand nicht gemacht ist, er stets voranschreitet, unbekümmert davon, ob alles, was man sich wünscht, realisiert werden kann. Irgendetwas davon wird schon werden, wie Detlef sagen würde. Wenn nicht dies, dann das. Wie eben jeder so seine Art hat, die man ihm lassen muss. Aber in die Zukunft kommen wir nur gemeinsam. Als Team. Als erster des Teams ist er nun schon dort.

 

Dr. Martin A. Völker

 


 

Der OEZ BERLIN VERLAG

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Der OSTEUROPAZENTRUM BERLIN-VERLAG wurde 2007 gegründet und hat seine Büros in Berlin-Lichtenberg . Der Verlag publiziert zur ost- und südosteuropäischen Geschichte, Wirtschaft, Kultur und Politik und veröffentlicht Sachliteratur in deutscher, polnischer, bulgarischer und demnächst auch in russischer Sprache. 
Der Verlag bietet insbesondere jungen Wissenschaftlern und Publizisten aus Deutschland und Osteuropa Publikationschancen.

Ein Schwerpunkt der Verlagsarbeit sind die Filmproduktionen von zeithistorischen Themen, vor allem zur Geschichte des Stalinismus / Kommunismus in der SBZ / DDR und Osteuropa